Montag, 2. April 2007

Alle über einen Kamm: Das Leuphana-Semester

Als Errungenschaft der Neuausrichtung präsentiert man stolz das "Leuphana"-Semester. Bei dieser Scheininnovation handelt es sich schlicht um die Exhumierung des altbekannten Einführungssemesters. In ihm sollen die Studtenten Lesen, Schreiben und Rechnen lernen. Es besteht aus den Modulen
  1. Mathematik
  2. Statistik
  3. Wissenschaftliches Arbeiten
  4. Fachlich-funktionale Perspektive
  5. Historisch-philosophische Perspektive
Dieses Semester sollen die Studenten aller Fachrichtungen gemeinsam absolvieren, bevor sie in ihr eigentliches Studium starten und überhaupt ihr Studienfach wählen. Ob ein Semester nötig ist, in dem Studenten das Studieren lernen, weil die Gymnasien sie nicht ausreichend vorbereiten, sei dahingestellt. Äußerst fraglich ist es, ob es wirklich Sinn hat, alle Studenten ein Semester lang dasselbe hören zu lassen:
  1. Mathematik: Soll dies eine Basismathematik sein, vielleicht um auf Statistik vorzubereiten? Wenn ja, hat sie an einer Hochschule nichts zu suchen, das erledigen die Gymnasien. Oder soll tiefer gehende Mathematik gelehrt werden? Sollen wirklich angehende Pädagogen und Automatisierungstechniker mit den gleichen Inhalten starten? Fachspezifische Mathematik müsste in einem höheren Semester gelehrt werden.
  2. Statistik: Hier sieht es abgeschwächt ähnlich aus. Ein angehender Wirtschaftswissenschaftler benötigt ein viel tiefer gehendes Statistik-Wissen als ein angehender Lehrer. Man braucht nur das bisherige Niveau verschiedener Statistik-Vorlesungen in den verschiedenen Studiengängen zu vergleichen.
  3. Wissenschaftliches Arbeiten: Ist zumindest formal auch nicht immer für alle dasselbe. Geistes- und Naturwissenschaftler verwenden z.T. völlig verschiedene Methoden (Experiment vs. Erhebung) bis hin zur Zitiertechnik.
  4. Fachlich-funktionale Perspektive: Hier wissen wir nicht genau, was damit eigentlich gemeint ist. Wenn sich dieses Modul auf das Studienfach bezieht, wie passt das dazu, dass dieses erst später gewählt werden soll? Oder ist dies einfach nur die üblich "Einführung in XYZ"-Vorlesung, die am Anfang eines jeden Studiums schon immer stand?
  5. Historisch-philosophische Perspektive: Wessen Perspektive, die des Studienfaches? Wenn ja, siehe oben: das soll doch erst anschließend gewählt werden. Wenn nein: Brauchen wir wirklich einen allgemeinen Geschichts- und Philosophieunterricht im ersten Semester für Informatiker wie für Kulturwissenschaftler?
Eigentlich handelt es sich bei dem Einführungssemester und einen schönen Gedanken, wenn man ein humanistisches Bildungsideal zu Grunde legt. Wenn man aber bedenkt, dass die meisten Studierenden kein Studium Generale betreiben sondern einen ganz spezifischen Fachbachelor erwerben wollen, muss Kritik erlaubt sein: Die mit 6 Semestern ohnehin schon äußerst knappe Zeit für das Fachstudium wird nochmals um ein Semester verkürzt. Exzellente Ergebnisse kann man unter diesen Bedingungen nur von Elitestudenten erwarten oder eben gar nicht: Ein starkes Indiz für die Sorge, das "Leuphana-College" sei von Beginn an als Eliteschmiede konstruiert.

Ein weiter Kritikpunkt ist die Frage nach der Fachwahl am Ende des ersten Semesters. Die Uni kann aufgrund begrenzter Mittel selbstverständlich nur eine begrenzte Anzahl Studierender in einen Studiengang aufnehmen. Nehmen wir an, es stehen 50 Plätze für BWL und 50 für KuWi zur Verfügung. Studenten bewerben sich aber nicht mehr für BWL oder KuWi sondern fürs College und absolvieren das erste Semester. Danach entscheiden sich 80 für BWL als "Major" und 20 für Kuwi. Wie soll dies planerisch und organisatorisch überhaupt funktionieren? Wie will man einem Studenten vermitteln, dass er nach nur einem Semester die Uni wechseln soll, weil nicht genügend Plätze für sein Wunschfach zur Verfügung stehen? Und wie will man andererseits die unbesetzten Plätze auf Dauer mitfinanzieren, die so entstehen? Müssten sich da die Studierenden nicht doch vorher festlegen, welches Fach sie studieren wollen? Und wenn ja, welchen Sinn hat es dann noch, im sog. "Leuphana-Semester" alle über einen Kamm zu scheren, anstatt allen Studierenden von Beginn an ein für sie relevantes und fachspezifisches Studium zu bieten? Oder soll einfach nur zusammen belegt und gehört werden, was für alle gleichermaßen relevant ist, während man sich für bestimmte Module in Fachgruppen teilt? Dann wäre aber das "Leuphana-Semester" nur ein neues (Un)Wort dafür, was an jeder Uni schon immer so war.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hallo Folx,

euren heutigen Beitrag finde ich leider etwas unterdurchschnittlich:
"4. Fachlich-funktionale Perspektive: Hier wissen wir nicht genau, was damit eigentlich gemeint ist." Soweit ich dies beurteilen kann, sind hier schon detailiertere Konzepte vorgelegt worden...
"5. Historisch-philosophische Perspektive: [...] Brauchen wir wirklich einen allgemeinen Geschichts- und Philosophieunterricht im ersten Semester für Informatiker wie für Kulturwissenschaftler?"
Naja, das würde ich mit einem *JA, natürlich* beantworten. Das systematische, systemische Denken, wissenschaftstheoretische Reflexion und auch daraus folgende Themen wie inter- und transdisziplinäre Perspektiven dürfen und sollten auch schon zu Beginn des Studiums eine Rolle spielen.

"Wenn man aber bedenkt, dass die meisten Studierenden kein Studium Generale betreiben sondern einen ganz spezifischen Fachbachelor erwerben wollen, muss Kritik erlaubt sein: Die mit 6 Semestern ohnehin schon äußerst knappe Zeit für das Fachstudium wird nochmals um ein Semester verkürzt."
Aber das wird ja auch offen kommuniziert, das statt Fach(idioten)ausbildung das *Lebenslange Lernen* gelehrt werden soll: Die fertigen Bachelors sind dann teamfähig und in der Lage, die aktuellen Bedürfnisse des Arbeistmarktes/gebers passgenau und just in time nachzulernen.

"Exzellente Ergebnisse kann man unter diesen Bedingungen nur von Elitestudenten erwarten oder eben gar nicht: Ein starkes Indiz für die Sorge, das "Leuphana-College" sei von Beginn an als Eliteschmiede konstruiert."
Das College ist doch eher als Massenausbildung gedacht (siehe http://www.das-weisse-gold.de/download/ALUMNI_Antwort.pdf ), die Elite wird dann in der Gaduate School gebacken. Mir wurde zugetragen, das es dort gerne bis zu 40% Studierende aus dem Ausland sein dürfen. Das ist ja eigentlich nix verkehrtes - lässt aber grübeln, wievielen Leuphanisten nach dem Leuphana-Bachelor ein konsekutiver Master geboten wird...

"Ein weiter Kritikpunkt ist die Frage nach der Fachwahl am Ende des ersten Semesters.[...]Wie soll dies planerisch und organisatorisch überhaupt funktionieren?".
Tja, das ist einfach: Die nun beschlossene Planung ist: Es wird sich bereits zum 1. Sem. auf einen bestimmten Major beworben, und nur 25-50 Plätze für "Planlose" freigehalten, die zum. 2. Semester wählen. Und natürlich wird es auch zugangsbeschränkte Major/minors geben...
Das heißt dann: Abinote mit Mindestenglischpunktzahl + Ehrenamtpunkt + Studierfähigkeitstest + Auswahlgespräch + fachspeizifische Zugangshürde...

leuphaNO hat gesagt…

Danke für die Erläuterungen, speziell auch zur Studienfachwahl. Das ist bescheiden kommuniziert worden: In allen Unterlagen heißt es immer, dass die Studenten erst am Ende des Leuphana-Semesters wählen. Unsere zugespitzten Fragen dienen ja auch der Aufklärung, wenn sie beantwortet werden.

Zur Frage des Fachidiotentums: Ich stimme Dir im Prinzip zu: Das Leuphana-Semester ist ein schöner Gedanke, dem entgegen zu wirken. Ich habe nur erhebliche Zweifel, dass die dann noch übrig bleibenden 5 Semester für ein Fachstudium reichen. Also entweder Elite (oder wie Du selber darlegst) niedriges Niveau...