Mittwoch, 20. Juni 2007

Soziale Auslese an der Leuphana

Das Deutsche Studentenwerk hat wieder eine Sozialerhebung durchgeführt mir Fragen wie "Welches ist der höchste berufliche Abschluss Ihres Vaters/Ihrer Mutter?" Das Ergebnis ist wie in den früheren Erhebungen eindeutig. Akademikertum wird vererbt. Von 100 Akademiker-Kindern schaffen 83 den Sprung an die Universitäten, bei Kindern aus Arbeiterhaushalten sind es nur 23.

Das hat kulturelle und finanzielle Ursachen. Die kulturellen: Kinder aus den so genannten bildungsfernen Schichten haben es schlicht und ergreifend schwerer, die gleiche Leistung wie höher gestellte Kinder zu erbringen, wenn ihnen beispielsweise das Lesen und eine Bildungskultur nicht im Elternhaus vermittelt wird. Grundschulkinder aus höher gestellten Haushalten schaffen bei gleicher Intelligenz ihre Gymnasialempfehlung oft spielend, während sozial niedriger gestellte Kinder wesentlich härter für die gleiche Einstufung arbeiten müssen, weil für sie Bildung außerhalb der Schule kaum stattfindet und eingeübt wird.

Genauso stark wirken sich die materiellen Ursachen aus. Das beginnt schon bei Schulbüchern, Klassenfahrten oder schlicht der Wohnsituation; es betrifft längst nicht nur Hartz-IV-Empfänger und endet in der Frage: Wird das Bafög reichen? Können meine Eltern mich unterstützen? Werde ich einen Bildungskredit später zurückzahlen können? Da ist der Weg in eine Ausbildung und das frühe "eigene Geld" wesentlich einfacher, besonders auch, wenn die Eltern nicht den Anspruch vermitteln, ihr Kind solle studieren, sondern ihm vorleben, dass frühes eigenes Geld Sicherheit bedeutet.

Hartz IV, niedrigere Löhne, höhere Unsicherheit, stärke Rationalisierung, höhere Anforderungen bei schlechteren Bedingungen und das Abgleiten der Mittelschicht verstärken dieses Sicherheitsdenken noch. In Deutschland studieren zu wenige. Wir können es uns nicht leisten, Talente einfach verkümmern zu lassen. Und falls wir es uns wirklich "leisten" könnten, ist es menschenverachtend, bestimmte Schichten strukturell von der Bildung auszuschließen. Der Nachwuchs muss gefördert werden. Und zwar nicht nur an den Schulen sondern auch beim Hochschulzugang.

Konkret beobachten wir aber gerade das Gegenteil einer solchen Förderung: BaFöG erhalten weniger als 30% der Studierenden. Studiengebühren/Bildungskredite schrecken Interessenten aus dem "Prekariat" ab. Was tut die Leuphana in dieser Situation? Gibt es ein Konzept, die Studierendenzahl auf das notwendige Niveau anzuheben? Gibt es ein Konzept, soziale Benachteiligung abzufedern? Vielleicht ein didaktisches Modell, verschüttete oder verborgende Talente zu fördern? Das wäre innovativ. Und leider zu schön um wahr zu sein. Das Gegenteil geschieht: Eingeführt wird ein Aufnahmetest, der Bewerber aus sozial schwacher Herkunft noch stärker benachteiligt als ohnehin schon. Und ein Studienmodell, dessen Workload einen Abschluss in der Regelzeit für diejenigen unmöglich macht, die auf einen Nebenjob angewiesen sind und ein so genanntes "faires Teilzeitstudium", das die Studiengebühren auf einen längeren Zeitraum streckt, jedoch beispielsweise für den BaFöG-Bezug völlig irrelevant ist.

Soziale Fragen werden nicht strukturell angegangen, stattdessen schließt sich die Uni der Stiftung der "Jimmy and Rosalynn Carter Partnership Foundation" an und lädt den Ex-US-Präsidenten nach Lüneburg ein, um hier feierlich kleinere Preise an ausgewählte "soziale" Projekte" zu verteilen (siehe LZ 20.04.). Almosen also anstelle struktureller Verbesserung. Wenn im Rahmen der Leuphana-Denkwelt das Wort "sozial" auftaucht, dann ist damit nicht gemeint, die sozialen Standards zu verbessern, sondern die künftige Funktionselite auf den Umgang mit sozial niedriger gestellten Menschen und deren Führung vorzubereiten.

Der Spiegel: "Beschämend für eine Demokratie"
taz: Die Bildungsschicht bleibt unter sich

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

In Amerika jammert auch niemand.Und da reden wir dann von Auslese, aber wirklich.

Woher kommt diese tief sitzende Aversion gegen Leistung? Die Gesellschaft ist eben ungleich, das schon seit jeher und auch fortan.

Daran haben bislang auch nicht die egalitären Bildungsansätze in Kontinentaleuropa was geändert. Dein Vater war in der Partei, du bist in der Partei, dein Vater ist Professor, du wirst Professor. Dein Vater kommt aus dem Prekariat, du bleibst im Prekariat.

In Zeiten von knappen öffentlichen Mitteln Gelder rauszuwerfen, indem man alles und jeden beliebig studieren lässt, ist dann auch sozial ungerecht.

Leuphana, weise uns den Weg!

leuphaNO hat gesagt…

Du hast den Text entweder nicht gelesen oder nicht verstanden. Die Sozialerhebung des Studentenwerkes zeigt ganz deutlich, dass unser Schul- und Universitätssystem trotz aller Benotungen eben nicht nach Leistung selektiert sondern nach Herkunft. Anders gesagt: Hast Du das passende Elternhaus, musst Du weniger leisten um Abi zu machen und zu studieren.

Das ist verstößt gegen die Menschenwürde und vergeudet ganz nebenbei auch viele Talente, wenn man schon unbedingt eine wirtschaftlich-rationale Begründung braucht, warum das schlecht ist.

77% aller Kinder aus bildungsfernen Schichten gehen nicht ins Studium. Sie werden z.T. arbeitslos, z.T. aber eben (Fach)arbeiter und Angestellte. Glaubst Du wirklich, die *leisten* alle nichts? Wenn ja, würde ich Dir zu einem Praktikum bei VW raten, und zwar nicht in der Beletage sondern mal 6 Monate am Fließband, dann reden wir erneut über Leistung.